Liebeslieder und ein Sack voll Geschichten
Wenn es drinnen nicht mehr so richtig warm wird, weil es draußen so richtig kalt
wurde, wenn das Immunsystem trotz regelmäßiger Echinacea - Zufuhr kapituliert,
wenn alle Welt Rosen zum Valentinstag bekommt, nur man selber nicht - dann ist
Februar. Damit man sich in dieser garstigen Zeit dennoch über etwas freuen kann,
pflegt das Lauffener Irish - Pub eine wunderbare Tradition: Immer um den
Valentinstag herum singt Colin Wilkie im "Phoenix".
Liebeslieder habe er mitgebracht, teilte er seinem Publikum mit, das sich am
vergangen Sonntag im "Phoenix" eingefunden hatte. Das erwartet von ihm jedoch
nicht nur Lieder, sondern auch Geschichten. Und es wurde nicht enttäuscht. Einen
ganzen Sack voll skurriler Absonderlichkeiten hatte der Sänger dabei, die er, mit
stark schwäbisch eingefärbtem, liebenswürdigem, englischen Akzent und
ausgeprägtem britisch - schwarzen Humor zum Besten gab.
Es war tatsächlich viel von der Liebe die Rede. Besonders von der Sorte Liebe, die
tödlich endet. Erstaunlich, wie häufig an diesem Abend in der Themse gestorben
wurde. Von Frauen selbstverständlich. Lauter Ophelias! Es scheint eine besondere
Affinität englischer Dichter zu weiblichen Wasserleichen zu geben. Auch die
Tochter des Rattenfängers, die einen Sandhändler liebte, der einen Esel besaß,
wäre auf diese Weise zugrunde gegangen, wenn Colin Wilkie die letzten Strophen
dieser Ballade nicht umgedichtet hätte. Er rettete so gleichzeitig auch den Esel und
den Geliebten, denen diese Ballade ebenfalls ein schreckliches Ende bestimmt
hatte. Man darf annehmen, dass dieser eigenmächtige Eingriff in das englische
Liedgut nicht aus Mitleid mit dem Liebespaar geschah, sondern aus Mitleid mit
dem Esel.
Eine Abend mit Geschichten über die Liebe. Zu einem toten Freund. Zu einem
anderen Land. Zu dem Maler van Gogh. Zu der Farbe des Londoner Schnees.
Liebeslieder auch aus der Gegend der Welt, "in der alles kariert ist, was eben noch
grün war: Hügel, Bäume, Flüsse...": Schottland. Es ist nur zu hoffen, dass Colin
Wilkie eine CD mit seinen Robert Burns - Interpretationen aufnimmt. Es gibt kaum
jemanden, der den schottischen Dichter so zum Klingen bringt wie er. Derartige
Bemerkungen jedoch wehrt er ab. Der Mann, der die deutsche Liedermacher -
Szene mit seinem Finger - Picking und der Poesie seiner Songs nachhaltig
beeinflußt hat, allen voran Hannes Wader, ist überaus bescheiden. Und er spottet
gerne: "Tony Blair ist eigentlich das Gleiche wie Maggy Thatcher - nur ohne
Handtasche."
"Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt...": Auch die Liebe des
George W. Bush zum Frieden kam zur Sprache. Colin Wilkies "We don't inherit the
Earth" müsse eigentlich im Moment jeden Morgen im Radio gespielt werden,
meinte einer der Zuhörer.
Auch die Beziehung des Publikums vom Pub zu Colin Wilkie ist die Geschichte
einer Liebe. Eine Liebe, die besonders dann wärmt, wenn es draußen kalt wird.
Nicht nur, weil Februar ist.
Ulrike Maushake